Our House

für alle ab 12 Jahren

Koproduktion mit dem Ishyo Arts Centre (Kigali, Rwanda)


Ein Haus – mein Haus. Unser Haus?
Was ist ein Haus?
Zwei Spieler*innen aus Ruanda und drei aus Deutschland haben sich gemeinsam auf die Suche gemacht: nach eigenen und fremden Geschichten von Häusern, in denen Menschen gelebt haben, die verlassen wurden, die verloren gegangen sind. Sie erzählen Lebensgeschichten, die erlebte Geschichte sind. In englischer Sprache teilen die Spieler*innen Erinnerungen aus Ruanda, Burundi, Kasachstan und Deutschland miteinander und mit dem Publikum. Aus den Erinnerungen an Häuser werden Gedanken über Zuhause, Identität und Gemeinschaft.


Premiere: 17. September 2016, HELIOS Theater

Ensemble

Es spielen: Eliane Umuhire, Helena Aljona Kühn, Hervé Kimenyi, Marko Werner, Michael Lurse
Musiker: Hervé Twahirwa
Komposition: Roman D. Metzner, Hervé Twahirwa
Regie: Carole Karemera, Barbara Kölling
Assistenz und Texte: Steffen Moor

Produktionspartner

Das Ishyo Arts Centre (IAC) in Kigali/Ruanda ist ein Kulturzentrum mit Arbeitsschwerpunkten in den Bereichen Literatur, Musik, bildende Kunst und Theater für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Gegründet 2007 von einer Gruppe von acht Frauen, war es das erste und einzige Kulturzentrum in der Landeshauptstadt Kigali. Das IAC leistet bis heute eine vielschichtige Aufbauarbeit, um sowohl ein Publikum als auch die verschiedenen Künste zu entwickeln. Ein Focus der Arbeit war und ist die Aufarbeitung des Genozids um einen neuen kulturellen Anfang generieren zu können. Mittlerweile ist das IAC landesweit bekannt und kooperiert mit Universitäten und Kulturpartnern in ganz Afrika.
Die künstlerische Leitung des IAC hat Carole Karemera.
http://ishyo.wordpress.com

Dokumentation

Im April 2017 ist die Dokumentation von "Our House" erschienen. Sie ist als Druckversion in deutscher und englischer Sprache im HELIOS Theater erhältlich.

Die digitale Verison kann hier eingesehen werden.

Pressestimmen

Stäbe der Erinnerung an die Heimat Ruandisch-deutsche Co-Produktion „Our House“ am Helios-Theater Hamm

Mit einfachen Mitteln erzählt das Helios-Theater Geschichten von Heimat und Flucht.

von Edda Breski

HAMM - Als 1994 der Völkermord der Hutu an den Tutsi in Ruanda eine Million Todesopfer forderte, war die Hälfte der heutigen Bevölkerung noch nicht geboren. Ruanda ist ein sehr junges Land, 50 Prozent der Einwohner sind unter 20 Jahre alt. Wie erklären, welche Bürde Geschichte ist – die des Landes und die persönliche?

Daran arbeitet das Ishyo Arts Centre aus Kigali, Ruanda. Vor zwei Jahren war die Truppe beim Hellwach-Festival des Helios-Theaters für Kinder- und Kleinkindertheater zu Gast. Nun hat das Hammer Ensemble mit den Ruandern ein Abend-Stück erarbeitet. „Our house“, gedacht für Jugendliche ab zwölf Jahren, thematisiert Fragen nach Heimat, Heimatverlust und Identität, gefasst in die Metapher vom Haus.

„Our house“ ist ein gelungener Versuch, komplexe und schmerzhafte Dinge greifbar zu machen. Dabei verzichten Helios-Regisseurin Barbara Kölling und ihre ruandische Kollegin Carole Karemera auf weitere Aktualisierungen. Sie lassen ihre Darsteller in einfachen, meist englischen Sätzen Geschichten erzählen. Gemeinsam ist ihnen die Erfahrung von Heimatverlust.

Helena Aljona Kühn erzählt, wie 1994 ihre Eltern Kasachstan verließen und mit ihr und ihrer Schwester nach Deutschland auswanderten. In ihrer Erzählung gibt es ein anrührendes Detail: Das achtjährige Mädchen erträumt sich eine geheime Tür, von der nur es weiß: Sie führt es zurück auf den heimischen Hof. Die Erzählungen gehen ineinander über. Hervé Kimenyi spricht von einem zerbombten Elternhaus in Burundi. Dazu legt das Ensemble einen Grundriss aus Stangen. Das ist grafisch, anschaulich, bei aller Schwere auch durchaus voll Humor. Die musikalische Begleitung (Roman D. Metzner, Hervé Twahirwa) erzeugt mit simplen Mitteln Stimmungen: ein Klopfen oder ein leises Trommeln, eine Zither, die eine Melodie unter das Spiel legt, leiser Gesang von Twahirwa.

Michael Lurse erzählt von Jimmy. Es ist 1933. Jimmys jüdische Mutter wird aus ihrer Wohnung vertrieben, der Junge steht nach der Schule nichtsahnend vor der Tür. Das Ensemble hat kleine bunte Häuser aus Stäben in der Hand. Historie ist nicht tot, sagt uns das. Sie ist zum Begreifen da.

„Our house“ arbeitet mit einfachen Bildern. Mit Stangen wird ein wackliges Haus gebaut. Teppiche mit unterschiedlichen Mustern und Farben stehen für die verschiedenen Elemente einer Geschichte, auch für unterschiedliche Identitäten. Als Ausweg bietet sich eine Utopie an: Gemeinschaft. Alle in einem Haus. Das ist nicht so einfach. Michael Lurse kann das gut darstellen. Ein paar Mal sieht es aus, als wolle er sagen: Nee, jetzt ist das Boot aber voll. Trotzdem glaubt das Stück an den guten Willen der Menschen.

Auch, als Eliane Umuhire spricht: Es ist wieder 1994. Zwei Tutsi-Mädchen verstecken sich, indem sie sich in aller Öffentlichkeit zeigen: als Hutu gekleidet. Während sie warten, sehen sie Killertrupps vorbeilaufen. Ihr Elternhaus, das ihnen Sicherheit sein sollte, sehen sie nur von Weitem.

Kölling und ein Team haben in Ruanda recherchiert. Im November wird „Our house“ in Kigali aufgeführt. Die Botschaft: Es hilft schon, wenn die Menschen miteinander sprechen können. Es ist ein Verdienst, das für junge Menschen in Theatererleben umzuwandeln, ohne offensichtlich didaktisch zu werden.

Westfälischer Anzeiger, 18. September 2016

Festivals & Auszeichnungen

Bei Westwind, dem Theatertreffen für junges Publikum NRW, wurde "Our House" als eine von drei herausragenden Inszenierungen mit dem Förderpreis des Landes NRW ausgezeichnet.

Hier die Laudatio:

Wie über das Unsagbare, das Schmerzhafte sprechen? Das Team von "Our House" setzt die Metapher des Hauses an den Anfang und ins Zentrum aller Geschichten. Das ist so simpel wie bestechend. So wie die Handgriffe der Darsteller*innen aus Ruanda und Deutschland beim Häuserbau auf der Bühne ineinander gehen, sich ergänzen und in ihrer Konsequenz immer wieder neu verhandelt werden, so geschieht es auch mit ihren Geschichten und Erinnerungen. Die Spieler*innen erzählen von Häusern aus Ruanda, Burundi, Kasachstan und Deutschland. Die Geschichten dieser Häuser und ihrer Bewohner*innen sind gleichzeitig immer auch erlebte Geschichte. Der Aufbau des Stückes gleicht einer Spielanordnung, die ihre Regeln stetig verschiebt und immer wieder lustvoll in Frage stellt. Ist das meine Geschichte oder Deine? Wie verändert sich Erinnerung, in dem Moment, in dem ich sie teile und mein Gegenüber mit eigenen Erinnerungen und Assoziationen anknüpfen lasse? Die Inszenierung überzeugt durch ihre formale Konsequenz, ihren Bilderreichtum und nicht zuletzt durch ihre Spieler*innen, die das Wagnis eingehen, etwas von sich mitzuteilen und sich damit einander und ihrem Publikum öffnen - und das ganz ohne Betroffenheitspathos oder moralischen Zeigefinger. Damit wird Raum geschaffen für Austausch und Begegnung. Eine Gesellschaft, die sich nicht verschließen will, die Gegensätze und Veränderungen als Chancen begreifen will, braucht Projekte wie dieses.

Über das Projekt

Bei einem Gastspiel in Bologna (Italien) sah Carole Karemera, die Leiterin des Ishyo Arts Centre (Kigali, Ruanda), das Stück „Holzklopfen / Woodbeats“ des HELIOS Theaters (Hamm, Deutschland). So entstand der erste Kontakt und bald der Wunsch, eine gemeinsame Theaterproduktion auf den Weg zu bringen. „I was impressed by the play “, erinnert sich Carole Karemera, „and then from the artists, doing this.“ Ermöglicht wird diese Zusammenarbeit von der Kulturstiftung des Bundes (Halle) im Fonds TURN mit dem Themenschwerpunkt „Afrika“. Barbara Kölling, die Regisseurin und künstlerische Leiterin des HELIOS Theaters, freut sich über die Möglichkeit: „es ist ein besonderes Projekt für uns. Unsere Länder sind auf besondere Weisen miteinander verbunden. Auf der Bühne wollen wir das Gemeinsame und die Unterschiede zusammenführen, ausgehend von einem Motiv, mit dem wir alle etwas verbinden: dem Haus.“

Im November 2015 begann die Zusammenarbeit mit einem Gastspiel der Produktion „Spuren“ in Kigali, der Hauptstadt von Ruanda. Alle Beteiligten dieser Produktion sind auch Akteure in der Koproduktion. Im Dezember reiste dann ein Team um Barbara Kölling zu Recherchen nach Kigali. Innerhalb einer Woche bereisten sie vor allen Gedenk- und Mahnstätten, die an den Genozid von 1994 erinnern. „Wir haben sehr, sehr viele Eindrücke gesammelt“, so Barbara Kölling, „nach dem Besuch der beiden Genocide Memorials in Ntarama und Nyamata saßen wir noch fast sechs Stunden zusammen und redeten und redeten.“ In Hamm folgte das Ensemble gemeinsam der Geschichte der Judenverfolgung anhand der Stolpersteine im Stadtbild, den goldfarbenen Erinnerungssteinen vor Häusern von in Konzentrationslagern verschleppten Juden.

In der Koproduktion steht das Thema Erinnerung im Mittelpunkt. Im Januar 2016 war das vierköpfige Ensemble aus Kigali zu Gast in Hamm. Die Proben sind von den Erlebnissen um individuelle und kollektive Geschichte ausgegangen. Dabei forschten die sechs Akteur*innen auf der Bühne mit den unterschiedlichen künstlerischen Herangehensweisen. Allen ging es um die gemeinsamen Potentiale – was kann gemeinsam neu entstehen? Dafür brachten die Akteur*innen selbst erlebte Geschichten ein. So wuchs auf der Bühne schnell ein Ensemble zusammen. Im März 2016 fand eine weitere Probenphase in Kigali statt, wo aus den Improvisationen Schritt für Schritt das gemeinsame Stück entstand. Nach einer letzten Probenphase in Hamm feierte "Our House | Unser Haus" am 17. September 2016 in Hamm seine Uraufführung. Die Premiere und weitere Aufführungen in Ruanda finden vom 1.-8. November 2016 in Kigali und Huye statt.

Probenbericht

Eine Probe: Eine große blaue Plane liegt auf der Bühne. Drei große Blöcke Ton stehen wie Hochhäuser darauf. Daneben am Rand ein blauer Eimer mit Wasser. Der Raum wirkt wie eine unwirkliche Landschaft – lebensfeindlich. Auf die Fläche treten fünf Spielerinnen und Spieler. Zwei von ihnen haben schwarze Hautfarbe. Alle Akteure nehmen oder reißen sich Ton-Stücke aus den Blöcken. Sie formen Gegenstände, Figuren und Gebäude. Jeder für sich, dann beginnen die Akteure mit dem gemeinsamen Spiel. Der Raum wird mit dem Ton lebendig. Es entwickeln sich Situationen und Geschichten. Aus dem Ton und mit den Elementen, die Sie Spielerinnen und Spieler aus ihnen schaffen. Hinzu kommen Wörter. Wörter in Deutsch, Französisch, Kinyaruanda, Russisch und Englisch. Eine Welt entsteht. Und in dieser Welt immer wieder Orte und Leben.

Eine Probe: Bedruckte Blätter liegen neben den fünf Akteuren. Sie sitzen oder liegen auf dem Boden. Musik erklingt. Eine Zitter spielt die Melodie, dazu kommt ein wabernder Klang der Udu, eines nigerianischen Instruments. Es ist ein rundes Schlaggefäß aus gebranntem Ton mit einem Flaschenhals. Auf der Seite befindet sich ein großes Loch, hier kann mit der Hand ein Ton erzeugt werden, der einen ähnlich Klang wie ein Didgeridoo den Raum füllt. Der Raum füllt sich mit Atmosphäre. Nach und Nach folgen erste Worte. Es sind individuelle Geschichten. Sie Berichten von Momenten, an denen Häuser verlassen oder verloren gegangen sind. Besondere Momente der Erinnerung an Heim und Heimat. Sätze schälen sich heraus. Sie sind Teil von Situationen, in den sich die Akteure begegnen. Die Suche nach eine verlorenen Haus – „Hier war mein Haus.“ – „Nein, hier.“ – „Nein, hier.“ – „Ich hasste dieses Haus.“ – öffnet den Raum und macht ihn zu einer kleinen Stadt. Aus dem Nichts entstehen Häuser und Straßen. Diese verbinden sich mit einem leerstehenden Haus in Bochum, das überfallen wird. Die Geschichten verbinden sich in Situationen. Gruppen entstehen, die Haltungen einnehmen: zu Erinnerungen, zu Wertungen und zu Menschen. Perspektiven, die von Menschen für Menschen geprägt werden. Die Geschichte wird von Menschen für Menschen gemacht.

Eine Erinnerung: In Kigali treffen wir Charles. Er ist der erste Vorsitzende der GEARG, eines Vereins von Überlebenden, der sich besonders um die Erinnerungsarbeit an durch den Genozid vollständig ausgelöschte Familien kümmert. Im Mittelpunkt der Tätigkeiten des Vereins steht, das Vergessen von Menschen zu verhindern. Deshalb haben sie mit einem Projekt begonnen, bei dem sie an Häusern Schilder anbringen, die an die Menschen erinnern, die ohne jegliche Angehörige durch den Genozid vernichtet wurden. In Kigali heißt es, das über 1.000.000 Menschen während der 100 Tage des Genozids hingemetzelt worden sein, in allen Büchern und Berichten von außerhalb wird von etwa 800.000 Opfern gesprochen. Der Verein GEARG macht diese Erinnerungsarbeit seit sieben Jahren und sie haben seitdem diese Schilder in 15 Distrikten angebracht. Je nach Höhe der eingeworbenen Mittel schafft der Verein zwei bis drei Verwaltungs-Distrikte jährlich. Dabei führen sie Gespräche mit den Menschen vor Ort. Hier betont Charles mehrfach, dass sie von „Nachbarn“ / „neighbours“ sprechen, nicht von „Killern“ / „killers“. Grundlage der Namensrecherche sind die Namenlisten, die  direkt im Anschluss an den Genozid in den Jahren 1995 und 1996 erstellt worden sind. Diese wären aber nicht vollständig. Besonders die Namen von Kindern fehlten sehr, sehr häufig. Sie seien jetzt besonders schwer zu ermitteln, weil Kinder in der Nachbarschaft oft nur mit Spitznamen gerufen wurden.

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